Dieser Beitrag wurde zuerst 1994 veröffentlicht, im Rad Geber Behinderte.
Monika Piccolo und Detlef Kersten legen in ihrem sehr persönlichen Bericht dar, welche Bedeutung für die beiden die Möglichkeit der regelmäßigen Nutzung ihrer Behinderten-Dreiräder hat. Ihre Erfahrungen können anderen Betroffenen Mut machen, mit Hilfe des Fahrrades ihre Mobilität und Selbständigkeit zu verbessern.
“Wir sind 35 und 26 Jahre alt, bereits seit vielen Jahren sehr stark gehbehindert und beide begeisterte Radfahrer. Wir versuchen, mit Hilfe des Fahrrades unseren Anspruch auf weitgehende Selbständigkeit zu verwirklichen. Wir können mit dem Rad mühelos weite Strecken ohne Hilfe bewältigen, wobei wir ganz selten auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen müssen. Dazu trägt das ausgedehnte Radverkehrwegenetz in Münster bei, das es uns ermöglicht, relativ gefahrlos und nahezu ohne Probleme all unsere Fahrziele zu erreichen. In Münster – auch als Behinderter – Fahrrad fahren heißt, zur Normalität zu gehören.
Als unerlässlich erweist sich das Fahrrad für uns für den Weg zur Arbeit und für die Wahrnehmung medizinischer Termine. Ferner ist es uns auch bei der Erledigung unserer täglichen Besorgungen sehr nützlich.
Wegen unserer Gehprobleme müssen wir versuchen, beim Einkaufen möglichst dicht an die Eingänge der Geschäfte heranzufahren, so dass wir öfter gezwungen sind, mit Vorsicht auch über den Gehweg oder durch eine Fußgängerzone zu fahren. So müssen wir schwere Einkaufstaschen nicht weit tragen und können sie mit dem Fahrrad mühelos nach Hause transportieren. Und das bei jeder Witterung. Dunkelheit und Glatteis etwa machen uns das sichere Bewegen auf der Straße sonst unmöglich. Durch unsere Fahrräder hat sich unsere Unabhängigkeit entscheidend vergrößert.
Außerdem fördert die Bewegung an der frischen Luft die Gesundheit und das Wohlbefinden. Bei schönem Wetter bringen Fahrradausflüge mit behinderten und nichtbehinderten Freunden ins Grüne sehr viel Spaß. Sie erschließen uns Gegenden, in die wir zu Fuß oder im Auto nie gelangen könnten.
Neben all diesen positiven Aspekten sollen jedoch auch die Schattenseiten, die das Fahren mit dem Behindertenfahrrad stark beeinflussen, nicht verschwiegen werden. Nichtbehinderte blockieren oft völlig gedankenlos Radwege sowie Fahrradweg- und Bürgersteigabsenkungen. Auch die von der Stadtverwaltung zahlreich aufgestellten Sperrpfähle und Diagonalsperren, die verhindern sollen, dass Radwege von Personenkraftwagen zugeparkt werden, stehen häufig so nahe beieinander, dass ein Durchkommen mit dem Dreirad unmöglich ist. Dies alles zwingt uns dann, mit unserem Fahrrad oft lange und beschwerliche Umwege zu fahren.
Die Krankenkassen, die die Fahrräder als therapeutisches Gerät zur Verfügung stellen, erlauben uns eine Reparatur der Räder nur bei bestimmten Vertragshändlern. Alle in Frage kommenden Händler liegen in recht großer Entfernung von unseren Wohnbereichen. So ist es uns nur mit enormen Schwierigkeiten oder großer Kraftanstrengung möglich, das defekte Dreirad zur Reparatur abzuliefern.
Auch benötigen größere Reparaturen oft viele Tage bis Wochen. In dieser Zeit sind wir dann völlig an unsere Wohnungen gebunden, müssen jemanden finden, der für uns einkauft und alle Wege erledigt, die wir sonst mühelos mit dem Fahrrad bewältigen. Diese Probleme könnten vermieden werden, wenn uns die Vertragshändler für die Zeit der Reparatur Leihräder zur Verfügung stellen würden. Da dies bisher jedoch nicht möglich ist, empfinden wir diese Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit jedes Mal als äußerst bedrückend und sind froh, wenn wir das Rad wieder haben.
Sie sehen also, für uns ist unser Behindertendreirad weit mehr als ein Freizeit oder Therapiegerät. Wir sind auf seine Benutzung bei vielen alltäglichen Verrichtungen angewiesen, die wir mit seiner Hilfe selbständig erledigen können. Besuche bei Freunden lassen sich problemlos und auch einmal spontan verwirklichen und helfen uns sehr bei unserer sozialen Integration. Wir möchten unsere Dreiräder nicht mehr missen.”